Avsnitt

  • «Die Prämien steigen, weil wir alle jedes Jahr mehr Leistungen beziehen», sagt Lorenz Hess. Der Nationalrat ist Mitglied in der Gesundheitskommission und steht der Krankenkasse Visana vor. «Wir rennen vielleicht zu früh zum Arzt.» Hess kritisiert aber auch die Leistungserbringer: «Von ihnen kann die Nachfrage aber auch gesteuert werden.» Bei der Qualität und der Effizienz sei «noch Luft im System».

    Zu viele Spitäler
    Die Kostenbremse-Initiative der Mitte will die Akteure dazu zwingen, Massnahmen zu präsentieren. Notfalls würde der Bund die Kompetenz erhalten einzugreifen. Hess kritisiert, dass es im Gesundheitswesen mit der Digitalisierung nicht vorwärts geht. Und die Spitaldichte sei viel zu hoch. Die Kantone sollten bei der Spitalplanung zusammenarbeiten, findet Hess. Die Initiative führe dazu, dass der Druck auf die Akteure grösser werde.

    Die zweite Initiative, die «Prämienentlastungsinitiative», fordert, dass niemand mehr als zehn Prozent des verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben muss. Die Differenz müssten Bund und Kantone aus Steuergeldern mit Prämienverbilligungen bezahlen.

    Fehlende Finanzierung
    «Die Initiative ist grobfahrlässig», findet Lorenz Hess. «Am Grundübel der hohen Kosten ändert die Initiative null und nichts, sie ist reine Symptombekämpfung.» Irgendwo müsse das Geld dafür herkommen. Schon bei der 13. AHV-Rente wisse man nicht, wie das zu finanzieren sei. Die Prämieninitiative werde den Staat noch mehr kosten. «Wenn man partout nicht bei den Kosten ansetzen will, dann muss man das KVG grundlegend ändern.» Das würde jedoch die laufenden Reformen torpedieren.

    Eine Einheitskasse werde nicht zu tieferen Kosten führen, ist Hess überzeugt. «Wir haben jetzt rund fünf Prozent Verwaltungskosten in der Grundversicherung», sagt Hess, der auch der Krankenkasse Visana vorsteht. «Ich kann mir schlecht vorstellen, dass eine staatliche Krankenversicherung das schafft.»

  • Der liberale Staat brauche Religion, findet Martin Grichting. «Sitten, Gebräuche und Bürgertugenden stellten sicher, dass die Institutionen funktionieren». Dazu braucht es Religion, weil sich die Tugenden sonst nicht halten könnten. Grichtung hat ein Buch dazu geschrieben, in dem er ein neues Verhältnis von Kirche und liberalem Staat entwirft.

    Es droht eine Gesellschaft der Egoisten
    «Religion sorgt dafür, dass wir uns langfristig ausrichten, vielleicht auch einmal zu einem Verzicht zugunsten des Ganzen bereit sind», findet der frühere Generalvikar des Bistums Chur. «Wenn das fehlt, werden auch die Sitten und Tugenden verschwinden.» Übrig bliebe eine Gesellschaft von Egoisten. Religion biete den Menschen eine andere Sicht – eine über die Gegenwart hinaus.

    Der Staat beruhe auf Grundlagen, die er selber nicht schaffen könne, zitiert Grichting den deutschen Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde. Wo eine tiefere ideelle Basis fehle, sei der Mensch nicht mehr bereit, sich für das Ganze einzusetzen. «Dann kommen sich die Egoisten nur noch in die Quere – und das ist das, was wir in der heutigen Gesellschaft beobachten.» Je mehr die religiöse Dimension verschwinde, je kälter werde es.

    «Die Wokebewegung ist reaktionär»
    Ausdruck für die übersteigerte Individualisierung sind die Aktivisten von heute. Grichting sieht im Wokeismus der Gegenwart einen Rückfall hinter die Französische Revolution und die Aufklärung. «In der Wokebewegung verschwindet die Gleichheit zugunsten einer neuen Rassentheoprie, in der Menschen nur einen Wert haben, weil sie zu einer bestimmten Gruppe gehören.» Die Aktivisten merkten gar nicht, wie reaktionär sie seien.

    Grichting entwirft auf der Basis von Alexis de Tocqueville eine «Religion der Bürger». Staat und Religion sollen dabei strickt getrennt sein, damit die Kirche sich nicht vom Staat vereinnahmen lasse. Die einzelnen Bürger sollen religiös sein und sich im Staat einbringen. «Das hat aber zur Voraussetzung, dass sich die Kirchenoberen selber nicht politisch einbringen, sondern sich darauf beschränken, dass sie den Glauben verkünden.» Heute sei das anders: Während die Kirchen immer säkularer würden, entwickle sich der Staat zu einer Zivilreligion.

    Dir Kirchen und die Pandemie
    Grichting kritisiert die Schweizer Bischöfe als zu staats- und regierungsnah. «Wenn man schaut, wie sich die Kirchen in der Pandemie freiheitsfeindlich hinter die Massnahmen gestellt haben, ihre eigenen Leute im Stich gelassen haben, dann zeigt das die zu grosse Nähe der Kirchen zum Staat.»

    Mit ein Grund für diese unheilvolle Nähe sei die finanzielle Abhängigkeit der «Staatskirchen». Die Kirchen folgten aus Eigeninteresse dem Mainstream. «Ihr Evangelium ist nicht das der Bibel, sondern die Befehlsausgabe der Regierung. Sie beissen nie die Hände die sie füttern.» Dabei habe die Kirche eher zu viel als zu wenig Geld. Mit weniger Einnahmen müsste sie das Gebot der Armut wieder leben, statt hohe Löhne bezahlen.

    Freier Entscheid, Kirchensteuern zu zahlen
    «Eine Staatskirche versagt darin, die Gläubigen zu stützen und politisiert dafür – und zwar immer im Sinne jener, die gerade an der Macht sind.» Grichting würde «falls überhaupt» ein System wie in Italien modern finden, in dem die Steuerzahler jedes Jahr frei entscheiden, ob sie der Kirche Steuern zuhalten.

    Martin Grichting: «Religion des Bürgers statt Zivilreligion. Zur Vereinbarkeit von Pluralismus und Glaube im Anschluss an Tocqueville». Schwabe-Verlag, 2024.
    https://schwabe.ch/martin-grichting-religion-des-buergers-statt-zivilreligion-978-3-7965-5060-7

  • Saknas det avsnitt?

    Klicka här för att uppdatera flödet manuellt.

  • «Das Stromgesetz bringen wir durch»
    Ist das Stromgesetz für den Ausbau von Wasserkraft, Solarenergie und Windturbinen noch zu retten, nachdem neben links-grünen Organisationen nun auch die SVP und eine Kantonalsektion der FDP dagegen sind? Die Berner Nationalrätin Aline Trede findet schon. Alle grossen Naturschutzorganisationen seien dafür. «Wir haben so viel für dieses Gesetz gearbeitet und so viele Kompromisse gemacht, das bringen wir durch.»

    «Das Stromgesetz ist ein erster Schritt für den Ausbau der erneuerbaren Energien.» Aber besteht nicht die Gefahr, dass alle Projekte scheitern? Trede betont, dass der Widerstand nicht von den Grünen komme, sondern von kleinen Organisationen. Alpine Solaranlagen seien dort machbar, wo es Leitungen gebe und die Bevölkerung miteinbezogen werde.

    Trede fordert Abschaltdatum für AKWs
    Was passiert, wenn das Stromgesetz abgelehnt wird? «Dann reden wir wieder über Atomkraftwerke», sagt Aline Trede. «Aber wir brauchen die Energiewende und müssen uns unabhängig machen von autokratischen Staaten.» Den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke lehnt Trede ab: «Dann subventionieren wir eine fossile Energie und spielen mit der Sicherheit der Leute.» Trede möchte ein festes Abschaltdatum, damit klar sei, bis wann der Strom mit erneuerbaren auszufüllen wäre. «Das hätte man schon lange machen können.» Die Schweiz müsse die Energiewende schaffen. An neue Atomtechnologien glaubt Trede nicht. Die AKW-Diskussion findet sie eine «Nebelpetarden-Diskussion», die nur von der Energiewende ablenke.

    Die Grünen unterstützen als einzige Partei die Europa-Initiative der Operation Libero. Sie bedeute nicht, dass man ein Rahmenabkommen unterzeichnen oder gar der EU beitreten müsse, sondern nur, dass der Bundesrat verhandeln solle. Die Initiative sei eine Unterstützung für die Verhandlungen.

    «EU ist weiter als die Schweiz»
    Könnte die Verpflichtung zur Übernahme von EU-Recht nicht auch zu Politik führen, die grüner Politik widerspricht? Im Umweltrecht sei die EU heute weiter als die Schweiz. «Die EU hat uns überholt», sagt Trede. Wenn man den Klimaschutz, den Green Deal anschaue und die Transformation der Energiepolitik, dann erkennt die grüne Nationalrätin «ganz viele positive Punkte».

    «Wenn wir keine Abkommen haben, dann können wir nicht machen, was wir wollen», findet Trede. Die Schweiz sei mitten in Europa. «Ich verstehe nicht, dass die Schweiz da nicht mitreden will.» Wichtig sei vor allem ein Stromabkommen. Die Transformation gelinge sowieso nur gemeinsam. «Wir brauchen mit unseren Nachbarn eine gute und stabile Zusammenarbeit.»

  • Fehlentscheid der Uno
    Marianne Binder kritisiert den Uno-Sicherheitsrat für die diese Woche verabschiedete Resolution. Das Gremium hätte die Freilassung der Geiseln der Hamas zur Bedingung für einen Waffenstillstand machen müssen. «Die Geiseln müssen zuerst zurück», findet Binder. Erst dann sei ein Waffenstillstand sinnvoll.

    Israels Sicherheitsbedürfnis
    Israel habe das Recht, für die Sicherheit ihrer Bevölkerung zu sorgen. In der Uno werde die einzige Demokratie im Nahen Osten mit anderen Standards beurteilt als andere Länder, findet Binder. Trotzdem sei die Organisation sinnvoll, damit es einen Ort gebe, wo man miteinander rede.

    Der Gaza-Krieg hat zu einer enormen Zunahme von Antisemitismus in der Schweiz geführt. Da sei etwas an die Oberfläche gekommen, was ihr Sorgen mache. Nötig seien Aufklärung, Geschichtsunterricht und Eltern, die über solche Themen reden würden.

    Schnellere Asylverfahren
    Einen direkten Bezug zur Asylpolitik kann Marianne Binder nicht erkennen. Sie fordert aber, dass die Verfahren beschleunigt und abgewiesene Asylbewerber zurückgeschickt werden. «Ich verstehe nicht, dass Eritreer, die zurück in ihr Land reisen, nicht blitzartig ihren Status verlieren.»

    Im Asylwesen müsse man auf Einstellungen fokussieren, die nicht in unsere Gesellschaft passten. Binder nennt die Haltung zu Freiheit, Rechtsstaat und insbesondere gegenüber Frauen. «Das muss viel mehr geprüft werden», fordert die Ständerätin. Es könne nicht sein, dass sich hier wie im Ausland Parallelgesellschaften etablierten. Deutschland habe islamischen Antisemitismus immigriert. Dazu kämen problematische Ansichten links und rechts. Beim Antisemitismus erkennt Binder eine «Fusion» der Pole.

  • Was läuft schief im Gesundheitswesen und in der Pflege? Patrick Hässig arbeitet auf einem Kindernotfall und kritisiert die Arbeitsbedingungen. «Wir haben viele Aufgaben zu erledigen, die nichts mit Patienten zu tun haben.» Die Dienstplanung sei ein riesiges Problem, weil man erst kurzfristig wisse, wie man arbeite. «Und dann jeden Monat wieder anders.» Dies sei der Hauptgrund, dass vierzig Prozent der Ausgebildeten den Beruf verlassen würden.

    Spitäler in Tageskliniken umwandeln
    Hässig findet, nicht jedes Spital müsse alles anbieten und einen 24-Stunden-Service sicherstellen. Er könnte sich die Umwandlung von Spitälern in Tageskliniken vorstellen. «Dann fällt die Nachtwache weg und Kosten werden auch noch gespart.» Bei der Spitalplanung fordert Hässig, dass der Bund die Koordination übernimmt. Damit würden die Gesundheitsdirektoren entlastet.

    Die Prämieninitiative der SP lehnt Hässig ab. es werde einmal mehr mit der Giesskanne Geld verteilt. «Man muss mir dann sagen, wo wir das Geld einsparen. bei der Bildung, Bei der Sicherheit?» Der Vorschlag sei keine gute Lösung. Man müsse das Gesundheitswesen vielmehr neu denken. Die Kostenbremse-Initiative der Mitte ist Hässig zu offen formuliert. Er befürchtet, dass dann die Versorgung der Grundversicherten eingeschränkt werde und eine Zweiklassen-Medizin entstehe. Zudem entstehe mehr Verwaltung, die bereits jetzt stärker wachse als die Pflege oder die Ärzteschaft.

  • Der milde Winter hat zu einer sicheren Stromversorgung geführt. Bereits heisst es zum Beispiel von GLP-Präsident Jürg Grossen, die Energiewende sei «viel besser unterwegs, als Kritiker sagen». Christoph Brand ist trotzdem nicht optimistisch. «Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, dann brauchen wir 50 Prozent mehr Strom in der Schweiz, der muss irgendwo herkommen.» Wenn man auch noch irgendwann die Kernkraftwerke alters halber abstellen wolle, dann entstehe eine Lücke. «Und wir sind in der Schweiz nicht im Ansatz auf Kurs, diese Lücke zu füllen.»

    «Wir dürfen nichts bauen»
    Der Mantelerlass genüge dafür nicht, findet Brand. «Das Grundproblem ist, wir dürfen nichts bauen, egal in welcher Technologie, ausser einfache Photovoltaik auf Hausdächern, aber das wird nicht reichen.» 

    Wenn die Schweiz so weitermache, werde die Importabhängigkeit immer grösser. «Ich würde das nicht empfehlen.» In einem strengen Winter oder wenn die französischen Kernkraftwerke ein Problem hätten, komme «der Moment der Wahrheit». Und den sollten wir verhindern. Nur schon um die Ziele im Mantelerlass zu erreichen, braucht es gemäss Brand eine Diskussion um einen gesellschaftlichen Konsens. 

    «Schöne Ziele für die Zukunft»
    Zusätzlich zu Wind- und Solarkraft braucht es gemäss Brand steuerbare Kraftwerke. Es werde nicht gerne gehört, dass es nicht nur mit Wind, Wasser und Sonne geht. «Das Grundproblem ist, dass schöne Ziele formuliert werden, die weit in der Zukunft liegen, aber es wird nicht diskutiert, welche Voraussetzungen nötig sind, um die Ziele zu erreichen.» Die Beschleunigungsvorlagen würden helfen, die Ziele zu erreichen, aber ob es reicht, ist offen. 

    Niemand wolle, dass bei ihm gebaut werd. «Wenn der gesellschaftliche Wunsch ist, dass man von der Energieproduktion nichts sieht, höchstens an ganz wenigen Orten und wir die Klimaziele erreichen wollen, dann landen wir bei neuen Kernkraftwerken», sagt Brand. 

    Lieber Kostenwahrheit statt Subventionen
    Bei der Finanzierung wäre Brand für eine weltweite CO₂-Besteuerung, die voll an die Bevölkerung zurückerstattet wird, «nicht ins Staatskässeli». «Wenn wir Kostenwarheit hätten, könnte man mit vielen Subventionen abfahren», sagt Brand. «So lange wir das nicht haben, kommen wir um Födermassnahmen nicht herum. Sie sollten aber auf Winterstrom und viel Ertrag auf investierten Franken ausgerichtet werden, also nicht Lastenvelos subventionieren.» 

    «Wir müssen eine offene und ehrliche Diskussion führen», findet Brand. Entweder gehe die Schweiz ins volle Risiko, baue nichts, die Importabhängigkeit steige dann weiter an. Oder man bleibe beim Ausbau von Wind und Sonne, nebst den dazu nötigen steuerbaren Kraftwerken. Oder wenn man weder das eine noch das andere wolle, dann laufe es auf neue Kernkraftwerke hinaus. 

    «Wir kennen die Vorteile der Kernkraft»
    Würde Axpo diese bauen? «Wir sind technologieneutral. Wir wissen, wie Kernkraft geht, wir kennen die Vorteile», sagt Brand. Ihn müsse man nicht überzeugen. «Jemand muss sie einfach bezahlen». Axpo könne jetzt aus betriebswirtschaftlichen Gründen alleine kein Kernkraftwerk bauen. «Aber wenn der Staat Kapazitäten versteigert, dann ist die Diskussion eine andere, dann gibt es eine betriebswirtschaftliche Logik.»

    Axpo ist auch ein riesiger Händler von Strom und Gas. «Die Hälfte des Gewinns kommt aus dem Handel», sagt Christoph Brand. Dabei gehe es darum, Industriebetriebe mit Energie zu versorgen. «Handel und Produktion sind untrennbar verknüpft.» Wenn Europa genug Strom habe, dann habe auch die Schweiz genug Strom. «Jeder Windpark in Frankreich hilft, dass Frankreich genug Strom hat. Und dann kann Frankreich exportieren.» Das Stromabkommen brauche es, sagt Brand, «aber natürlich nicht um jeden Preis.»

  • Keine Industriepolitik
    Das Erfolgsrezept der Schweiz ist für Staatssekretärin Helene Budliger Artieda, dass der Staat sich von unten aufbaue, die Regulierung sich auf die Rahmenbedingungen beschränke und der Staat nicht Industriepolitik betreibe. Viele Länder würden jetzt diesen Weg beschreiten. «Wir sind überzeugt, das ist falsch.» Die Regulierung mache ihr Sorgen. Das Seco veröffentliche regelmässig einen Bürokratiemonitor. «Wir sind eine komplexe Gesellschaft geworden, ein Teil der Bevölkerung will, dass alles reguliert ist, um abgesichert zu sein.»

    Aber viel mehr Sorgen macht Budliger die Regulierung aus der EU. «Mich dünkt, die liberale Stimme Grossbritanniens fehlt in der EU». Es gebe eine «Achse mit hehren Zielen» zwischen Berlin, Paris und Brüssel, die Regulierung vorantreibe. «Das ist für uns nicht gut, weil wir einen anderen Weg gehen wollen.» Es drohe eine Abschottung Europas. Auch die Länder ausserhalb Europas kritisieren die EU deswegen.

    Die Sanktionen haben «eine gewisse Bedeutung»
    Die Schweiz hat die Sanktionen gegen Russland wegen ihres Angriffes auf die Ukraine mitgemacht. Helene Budliger betont, dass die Schweiz genau unter die Lupe nehme, was sie von der EU übernehme. Es sei ein Fakt, dass nur 40 Länder mitmachen würden und ganz viele andere Länder mit Russland Umgehungsgeschäfte machen würden. «Aber soll die Schweiz einfach zuschauen?», fragt Budliger. Unter diesem Gesichtspunkt hätten Wirtschaftssanktionen «eine gewisse Bedeutung».

    Freihandelsabkommen stärken den Standort
    Kurz vor dem Abschluss steht ein Freihandelsabkommen mit Indien. Das sei eine grosse Chance, insbesondere für den Export von Industrieprodukten, findet Budliger. Indien habe ein Interesse, sich zu öffnen. Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen hätten aber 16 Jahre lang gedauert. Die Schweiz stehe im Wettbewerb mit anderen Ländern, zum Beispiel mit Grossbritannien oder der EU. «Wenn es gelingt, das vorher abzuschliessen als unsere Kollegen aus der EU, dann hilft das dem Standort Schweiz.»

  • Viele Bürgerliche unterstützen die Initiative für eine 13. AHV-Rente, weil zu viel Geld im Ausland oder für den Asylbereich ausgegeben wird. Elisabeth Schneider-Schneiter hat das im Abstimmungskampf auch gehört. Die Mitte-Nationalrätin will die verschiedenen Bereiche nicht gegeneinander ausspielen, sondern findet, dass bei einem Ja alle Bereiche sparen müssten.  «Wenn die 13. AHV-Rente durchkommt, dann braucht es Sparmassnahmen in der Bildung, in der Landwirtschaft und in der internationalen Zusammenarbeit.»

    Bei der Entwicklungshilfe spricht sie sich allerdings für eine «Fokussierung» der auf die Interessen der Schweiz aus. Es gehe dabei um «Massnahmen, damit Migration gar nicht entstehe». Wegen der Finanzlage des Bundes müsse in der Entwicklungshilfe sowieso gespart werden, findet die langjährige Aussenpolitikerin. 

    Fehlende Transparenz
    Schneider-Schneiter verlangte immer mit Vorstössen und Anträgen Transparenz, wie die Mittel der Entwicklungshilfe bei den Nichtregierungsorganisationen verwendet werden. Die Berichte des Aussendepartements dazu seien aber lückenhaft. Die NGOs wollten keine Transparenz schaffen, kritisiert die Baselbieterin. Sie insbesondere kritisiert den Filz zwischen den NGOs und der Zertifizierungsorganisation. Einen Fonds für den Wiederaufbau der Ukraine lehnt Schneider-Schneiter zurzeit ab. «Es ist nicht der Moment, um Geld zu binden.» Später könne man darüber reden.  

    Bundesrat soll verhandeln
    Elisabeth Schneider-Schneiter will den bilateralen Weg weiterführen, obwohl die EU eine politisch-rechtliche Anbindung fordert. Ich bin mit dem Verhandlungsmandat relativ zufrieden. Die Schweiz habe viel herausholen können. Mit den Ausnahmen könne man die institutionellen Fragen «entkräften». Der Bundesrat solle nun verhandeln, und das Maximum herausholen. Es gebe Optimierungspotenzial. Auch die Mitte habe dem Bundesrat Wünsche auf den Weg gegeben.

    Die Schweiz könne sich immer noch überlegen, welches EU-Recht sie übernehme und was nicht, betont Schneider-Schneiter. Sie fände es richtig, wenn sie Schweiz gegenüber der EU bockig sei, wie zahlreiche Mitgliedsstaaten auch. Die Schweiz müsse wie die anderen Länder Vertragsverletzungsverfahren in Kauf nehmen. Ausgleichsmassnahmen seien der «absolute Ausnahmefall» findet Schneider-Schneiter, obwohl die EU dies seit Jahren macht. 

    Dem Ständemehr «nicht abgeneigt»
    Elisabeth Schneider-Schneiter findet, dass ein Ständemehr rechtlich nicht nötig sei. Dies, obwohl die Materialien das Gegenteil nahelegen. Aus politischen Gründen sei sie aber nicht abgeneigt, die Verträge dem Ständemehr zu unterstellen. «Am Schluss müssen wir eine Gesamtbilanz ziehen.»

  • Die Initiative für eine 13. AHV-Rente habe einen riesigen Rückhalt in der Bevölkerung, sagt Daniel Lampart. Die Teuerung sei ein Problem für die alten Leute. «Die Rentner merken, dass es immer enger wird, das beschäftigt die Leute.»

    «Die AHV ist ein super Geschäft»
    Die Gegner argumentieren, die Finanzierung der 13. AHV-Rente sei langfristig nicht gesichert. «Vor allem nicht finanziert ist die Situation der jetzt Pensionierten», entgegnet Lampart. Die AHV baue derzeit Reserven auf, die könne man zurückgeben. Irgendwann müsse man die Einnahmen der AHV schon erhöhen, aber die AHV sei ein «super Geschäft» für die meisten Leute, da sie mehr erhalten, als sie bezahlen. 

    Langfristig hofft Lampart, dass die Steigerung der Produktivität das Finanzierungsproblem löse. Ergänzungsleistungen seien keine Lösung, die AHV bedeute finanzielle Sicherheit und Freiheit im Alter. «Ich finde es schlimm, wenn aufrechte Arbeiter im Alter in die Bedürftigkeit abgeschoben werden.» Lampart ist überzeugt, dass weder die erste noch die zweite Säule 2050 ein grösseres Problem haben werde. 

    «Wir kämpfen um den Lohnschutz, weil wir die höchsten Löhne in Europa haben.» Zudem sei die Schweiz offen wie kein anderes Land, weil es hier keine Sprachbarriere gebe. «Wir müssen Europameister sein im Lohnschutz und das beisst sich mit der Binnenmarktlogik.»

    «EU-Gericht hat bei den Ausnahmen nichts zu suchen»
    Die Befürworter sagen, die EU wolle ja auch die Löhne schützen. Der Schweizer Lohnschutz sei einzigartig in Europa, entgegnet Lampart, weil er sozialpartnerschaftlich organisiert sei. Das wollten die Gewerkschaften absichern. Lampart befürchtet, dass die Ausnahmen für den Schweizer Lohnschutz für die Schweiz letztlich doch vom Gerichtshof der EU beurteilt würden. «Eine Ausnahme ist nur dann eine Ausnahme, wenn der Gerichtshof der EU dort nichts zu suchen hat.» Nicht akzeptabel sei, dass die EU-Spesenregelung in der Schweiz gelten würde. 

    Lampart findet wie die Befürworter, es brauche kein Ständemehr bei einer Abstimmung, weil es nur eine Anpassung der bilateralen Verträge sei. Die Bevölkerung werde das Verhandlungsresultat aber intensiv lesen und diskutieren. «Wir werden stolz auf die Demokratie sein.» 

    Die Gewerkschaften fordern auch noch einen Ausbau der flankierenden Massnahmen mit viel mehr Gesamtarbeitsverträgen und Mindestlöhnen. «Wenn man diese Probleme nicht löst, werden wir nicht zustimmen können», sagt Lampart.

  • «Ausgerechnet die Seite, die sich für die Kaufkraft der Leute einsetzen will, nimmt ihnen Kaufkraft», findet Andri Silberschmidt. Die Umsetzung der Initiative für eine 13. AHV-Rente der Gewerkschaften würde Steuererhöhungen oder höhere Lohnabzüge nötig machen. «Wenn das Geld auf den Bäumen wachsen würde, würde ich allen eine 13. AHV-Rente gönnen.» 

    AHV lebt «auf Pump»
    Die AHV lebe schon heute auf Pump. Die Politik habe Rentenversprechen abgegeben, die sie langfristig gar nicht einhalten könne. Deshalb sei es falsch, noch eine 13. AHV-Rente darauf zu packen. Silberschmidt wirft den Gewerkschaften vor, bewusst nur die nächsten drei bis vier Jahre anzuschauen. Die grossen Defizite kämen danach. Das Sozialwerk stehe im Moment nicht schlecht da, weil in den letzten vier Jahren zwei Mal die Steuern dafür erhöht worden seien. 

    Silberschmidt hat die Renteninitiative der Jungfreisinnigen mit gestartet, über die Anfang März ebenfalls abgestimmt wird. Sie würde das Rentenalter auf 66 Jahre erhöhen und dann an die Lebenserwartung anpassen. «Unsere Initiative führt zu einem langfristigen Überschuss in der AHV. Dann hätten wir die Möglichkeit, die Renten zu verbessern.» Man könne nicht Geld ausgeben, bevor man es eingenommen habe. Die Politik verspreche immer Leistungen, die nicht finanziert seien. «Und dann muss man die Steuern erhöhen.» Der Mechanismus der Renteninitiative sei für alle berechenbar. 

    Rahmenverträge: Viele Fragen offen
    Die Rahmenverträge wird Andri Silberschmidt genau anschauen, wenn sie auf dem Tisch liegen. Im Moment sei es wichtig, dem Bundesrat den Rücken zu stärken. «Für mich ist die Frage, wo wir mit der EU gemeinsame Spielregeln haben wollen und wo nicht», sagt Silberschmidt. Die Schweiz gehe nicht unter, mit oder ohne diese Verträge. Es seien viele Fragen noch offen, zum Beispiel die Rolle des Gerichtshofes der EU. Da müsse Klarheit geschaffen werden. Silberschmidt fordert, dass die Steuerhoheit der Schweiz nicht betroffen sei, und dass beide Seiten dies akzeptierten. 

    Gegen die Forderungen der Gewerkschaften
    Andri Silberschmidt ist gegen Zugeständnisse an die Gewerkschaften, damit sie den Rahmenverträgen zustimmen. «Ich sehe keinen Grund, denen mehr Macht zu geben», sagt der Zürcher Nationalrat. «Der liberale Arbeitsmarkt ist mir heilig.» Zustände wie in Frankreich oder Italien will er nicht in der Schweiz. «Das Ziel der FDP ist Marktzugang, aber auch die Souveränität und dass wir das einzigartige direktdemokratische System behalten können.»

  • «Die Verträge, die jetzt zur Debatte stehen, sind keine Verträge auf Augenhöhe, sondern verlangen eine institutionelle Anbindung», sagt Philip Erzinger. Der Geschäftsführer von Kompass / Europa findet, es sei der gleiche Rahmenvertrag wie vor drei Jahren. «Man muss Stopp rufen und Alternativen suchen.»

    «Der Bundesrat betreibt Augenwischerei»
    Erzinger kritisiert, dass in jedem Vertrag die Verpflichtung zur Übernahme von EU-Recht und eine Streitbeilegung mit dem Gerichtshof der EU enthalten sei. Die Befürworter würden Augenwischerei betrieben: «Der Bundesrat sagt, es sei keine institutionelle Anbindung, wenn man die Dokumente liest, dann sieht man, dass das nicht stimmt.»

    Auch die Behauptung, dass die Volksrechte gewahrt blieben, sei falsch. «Wenn wir zu einem Rechtserlass nein sagen, drohen Ausgleichsmassnahmen.» Das führe dazu, dass die EU schon vor einer Volksabstimmung Druck aufsetze. «Wir sind politisch nicht mehr frei.» Das sei ein direkter Einschnitt in die Direkte Demokratie und den Föderalismus. Mit den Rahmenverträgen könnte die EU-Kommission die Schweiz auf Generationen politisch unter Druck setzen. Der politische Preis ist Philip Erzinger zu hoch.

    Stärken auf dem Weltmarkt ausspielen
    Doch hat eine Ablehnung nicht auch einen wirtschaftlichen Preis? Dem stimmt Erzinger zu, aber er sei viel geringer, als es dargestellt werde. «Die Befürworter sehen das Rahmenabkommen als alternativlos an.» Das stimme einfach nicht, findet Erzinger. «Wir haben auch bei einer Ablehnung weiterhin Zugang zum Binnenmarkt.» Die Schweiz müsse mit möglichst vielen Ländern Freihandel betreiben. Das werde auch die Beziehungen zur EU verändern. «Wenn wir das der EU klarmachen, dann gibt es endlich Verhandlungen auf Augenhöhe.»

    Initiative geplant
    Erzinger sagt, Kompass / Europa werde mit einer Initiative einen neuen Weg zu mehr Freihandel mit der EU vorschlagen. «Wir tun gut daran, unsere Stärken auf dem Weltmarkt auszuspielen, statt uns in ein binnenmarktrechtliches Korsett zu bewegen.»

  • Katja Riem ist die jüngste Nationalrätin des neuen Parlamentes. Für die AHV-Initiative der Gewerkschaften hat sie nicht viel übrig. Sie unterstützt hingegen die Renteninitiative der Jungfreisinnigen. Die Erhöhung des Rentenalters sei zwar «unschön», aber es sei Fakt, dass die Menschen länger lebten. Deshalb sei eine massvolle Erhöhung des Rentenalters die richtige Lösung. «Wenn wir die Sozialwerke nachhaltig finanzieren wollen, kommen wir nicht darum herum.» Ein bisschen länger arbeiten sei eine gute Lösung, weil das gegen den Fachkräftemangel helfe und sichere den Wohlstand. 

    «Staatsbudget wird nur aufgeblasen»
    Viele bürgerliche Wähler sehen das anders. Das ist auch Riem nicht verborgen geblieben. Sie höre derzeit viel, wenn der Bundesrat Milliarden im Ausland ausgebe, könne man jetzt einmal etwas für die Rentner tun. Doch dieses Argument geht für Riem nicht auf. «Wir werden nachher nicht weniger Geld in die Entwicklungshilfe schicken, sondern das Staatsbudget aufblasen», ist sie überzeugt. Das könne nicht die Lösung sein. 

    Riem hat zuerst das Gymnasium in Bern besucht, dann aber zuerst eine Lehre als Winzerin und dann als Landwirtin gemacht. «Ich würde nicht mehr ans Gymnasium gehen», sagt sie heute. Das Gymnasium sei ein guter Weg für angehende Akademiker mit einer klaren Vorstellung, was sie dann studieren wollten.  

    Gymnasiumsprüfungen in der ganzen Schweiz
    In der Berufslehre lerne man hingegen im Team zu arbeiten, habe oft Kundenkontakt und lerne mit Geld umzugehen. «Die drei Jahre Berufsbildung schaden nie», findet Riem. Sie fordert die Einführung von Zugangsprüfungen zum Gymnasium in der ganzen Schweiz, damit nur jene in diese Richtung gehen, die ihn wirklich gehen wollen. Es sei nicht gut, wenn das Gymnasium der Weg des geringsten Widerstandes sei. Es brauche mindestens eine ähnliche Hürde wie die Wahl der in die Berufsbildung, zum Beispiel ein Bewerbungsschreiben.  

    Als neue Nationalrätin will Katja Riem die staatlichen Ausgaben genau unter die Lupe nehmen. Man müsse Sorge tragen zu jenen, welche die Wertschöpfung der Schweiz ausmachen würden. Riem kritisiert die hohen Löhne in der öffentlichen Verwaltung. Der Staat schaue schon für sehr viele Lebensbereiche. Das dürfe nicht noch mehr zunehmen. 

    Neuanfang in der Landwirtschaftspolitik
    Mit der staatlichen Unterstützung nehme auch die Abhängigkeit zu. Genau das sei in der Landwirtschaftspolitik passiert. «Die Landwirtschaft wurde immer abhängiger von Direktzahlungen, entsprechend grösser wurde der Einfluss des Staates auf die Landwirtschaft.» Vielleicht brauche es einen Neuanfang. Riem will dazu nicht nur über die Produktion von Nahrungsmitteln reden, sondern die ganze Wertschöpfungskette betrachten. Die Landwirtschaftspolitik müsse liberaler werden. «Die Bauern brauchen mehr Spielraum», ist sie überzeugt.

  • «Es ist eine verheerende Initiative», findet Matthias Müller. Eine 13. AHV-Rente verdopple die Verschuldung der AHV im Jahr 2050 von 100 auf 200 Milliarden. Das gefährde die Altersvorsorge. «Sie ist auch sozialpolitischer Stuss, weil Rentner davon profitieren, die es gar nicht brauchen. «Das Geld der Steuerzahler muss gezielt eingesetzt werden und nicht mit einer sozialistrischen Umverteilungspolitik à la Linke.»

    Massive Steuererhöhungen nötig
    Die Initiative sei nicht generationengerecht, findet Müller, weil sie die Finanzierung weglasse. Dabei sei klar, dass für die 13. AHV-Rente die Lohnprozente um zwei bis drei Prozent oder Mehrwertsteuer auf 12 oder mehr Prozent erhöht werden müssten. «Das bezahlen die Jungen», kritisiert Müller.

    Gezielte Hilfe statt mit der Giesskanne
    Es gebe Altersarmut in der Schweiz, gibt Müller zu. Aber diesen Personen müsse gezielt geholfen werden, nicht mit der Giesskanne. Doch selbst an der bürgerlichen Basis heisst es, der Staat habe Geld für Entwicklungshilfe oder Asylbewerber nur nie für die Rentner.

    Diese Einwände kann Müller verstehen. Bei der Entwicklungshilfe könne man diskutieren. Ich habe sowieso Zweifel, ob das Geld dort ankommt, wo es ankommen soll. «Doch selbst wenn man diesen Betrag einsetzen würde, genügt das nicht.» Die Rente sei an die Lohnentwicklung gekoppelt und damit habe man bereits für die Rentner gemacht.

    Nachhaltige Sicherung der Altersvorsorge
    Die Jungfreisinnigen haben als Alternative die Renteninitiative eingereicht. Sie will das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln. Wenn die Lebenserwartung steigt, würde auch das Rentenalter nach oben angepasst – und umgekehrt. «Die dosierte Erhöhung des Rentenalters ist die beste Alternative, weil man niemandem Geld wegnimmt», findet Müller. «Im Gegenteil: Die Menschen bleiben im Job, es braucht weniger Zuwanderung und haben mehr Fachkräfte». Das wichtigste Sozialwerk werde so nachhaltig gesichert. «Das ist genau das, was die meisten Länder in Europa machen.» Das Rentenalter um ein Jahr anzuheben sei «sehr moderat».

    Ist es nicht ein Problem, wenn Handwerker ein Jahr länger arbeiten müssen? Dafür gebe es schon heute sozialpartnerschaftliche Lösungen, welche die Renteninitiative nicht infrage stelle. Wer hart gearbeitet habe, müsse frühzeitig in Rente gehen können. Akademiker sei es aber zuzumuten, dass sie länger arbeiten. Müller ist bereit, über eine Lebensarbeitszeit zu diskutieren. Das sei mit der Renteninitiative problemlos möglich. Und auch Anreize wie Steuererleichterungen für jene, die länger arbeiteten, kann sich Müller vorstellen. «Die Anreize, um länger zu arbeiten, muss man unbedingt verbessern.»

    «Teilzeit arbeiten und volle Rente geht nicht»
    Das gilt für Müller auch vor der Pensionierung. «Das Sozialversicherungssystem, die perfekten Gesundheitsleistungen, der Sozialstaat vertraut darauf, dass die Leute hundert Prozent arbeiten.» Sonst sei das nicht finanzierbar. «Das Rentenniveau kann nicht gehalten werden, wenn wir alle Teilzeit arbeiten.» Wer Teilzeit arbeite, müsse auch mit einer Teil-Rente leben.

  • Es habe bei den Wahlen zwar einen Rechtsrutsch gegeben, aber die FDP habe davon nicht profitieren konnte, bedauert Petra Gössi. Die Schwyzer Partei habe pointiert ihre Meinungen vertreten und damit Erfolg gehabt. «Wir müssen nicht 50 Prozent vertreten, sondern nur 20 Prozent.» Die Lliberalen müssten greifbarer werden. «Steht zu eurer Meinung auch wenn einmal Gegenwind kommt, das gehört zum politisieren», findet die ehemalige Parteipräsidentin.

    FDP muss mit Inhalten überzeugen
    Man müsse immer wieder erklären, was Liberalismus bedeutet und wie er entstanden sei. «Der Wohlstand der Schweiz kommt von den liberalen Rahmenbedingungen.» Damit müsse die FDP überzeugen. Seit der Pandemie sei der Staat stärker geworden und die Einstellung, dass der Staat für jedes Problem die Lösung sei. «Das ist nicht der Normalzustand und darf nicht so bleiben.»

    «Die Leute haben das Gefühl, es seien zu viele Leute da», hat Gössi im Wahlkampf erfahren. Beim Thema Migration fordert die Ständerätin eine Steuer für die Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. «Das wird Schwierigkeiten verursachen im Hinblick auf die Bilateralen, aber es nützt nichts, wenn man das ignoriert.»

    Bei der Asylpolitik die «Schraube anziehen»
    In der Asylpolitik laufe die Schweiz in einen Hammer hinein. Es brauche Abkommen mit Drittstaaten, um abgewiesene Asylbewerber wirklich ausschaffen zu können. Da müssten Nägel mit Köpfen gemacht werden. es gehe nicht, das Problem vor sich herzuschieben. «Wir sind ein Staatswesen und ein Staatswesen muss agieren können. Da muss man die Schraube anziehen.» Auch die Entwicklungshilfe müsse gezielter werden, fordert Gössi. Der Bereich sei aber «verkrustet» und da werde es schwierig, Mehrheiten zu verschieben.

  • «Es war klar, dass die Bisherigen und jemand vom Ticket gewählt wird», sagt Christoph Blocher unmittelbar nach der Bundesratswahl am Mittwoch. «Die Kräfte, die einen anderen Kandidaten wählen wollten, waren zu schwach.» Bei der Wahl zum Bundeskanzler habe Mitte-Links ihre Macht ausgespielt. «Die Prediger der Konkordanz, der Rücksichtnahme und der Humanität, wenn sie an der Macht sind, ist damit fertig», sagt Blocher. Die SVP habe sich an die Konkordanz gehalten. 

    Die Bürgerlichen hätten ein anderes Ticket fordern sollen

    Doch die SP behaupte das Gegenteil. Die SP wisse ganz genau, dass es nicht die SVP war, die Cassis nicht gewählt habe. «Wir hätten grün gewählt?» Die SVP sei sehr «linientreu» gewesen, bis auf die Ersatzwahl für Alain Berset. «Die Partei hat keinen Hehl daraus gemacht, dass die beiden SP-Kandidaten ganz aus der linken Ecke kommen.» Die Bürgerlichen hätten die SP gemeinsam auffordern müssen, einen anderen Kandidaten vorzuschlagen, findet Blocher. 

    Pfister wolle unbedingt an Stelle eines Freisinnigen Bundesrat werden. Aber er habe gleichzeitig versprochen, niemanden abzuwählen. Den «Bürgerblock» habe es so nie gegeben. Es sei aber wegen der EU-Frage schwieriger geworden, zusammen zu arbeiten. «Die CVP und die Freisinnigen haben Stimmen oder sogar einen Sitz im Bundesrat verloren, darum geht es um Macht.» Bei der Mitte gehe es um nichts anderes. 

    «Referenden, Referenden, Referenden»

    Wenn es im Bundesrat falsch herauskomme, dann müssten die Bürgerlichen auf die direkte Demokratie setzen. «Wir brauchen Referenden, Referenden, Referenden!» Der Bundesrat habe Angst vor den Volksabstimmungen, das habe er selber im Bundesrat erlebt. «Die direkte Demokratie wirkt auch vorauseilend, das ist auch gut, es bedeutet die Rücksichtnahme auf das Volk.»

  • In der Pandemie waren sowohl Bund und Kantone für Massnahmen und Hilfsgelder verantwortlich. Für Mark Schelker ein Problem: «Wir hatten eine lange Zeit, in der niemand entschieden hat.» Man habe versucht, die Verantwortung zu teilen, obwohl die nicht geteilt werden könne. «Wer nicht für seine Handlungen gerade stehen muss, der wartet bei unangenehmen Entscheiden auf den Bund», hat Schelker beobachtet.

    Die schöne Seite des Schweizer Föderalismus wäre es, unterschiedliche Ansätze auszuprobieren. Das sei in der Pandemie zu wenig geschehen. «Dieses Labor des Föderalismus hätte man aktiv nutzen sollen.»

    Schelker kritisiert das jetzt vom Bundesrat vorgeschlagene Epidemiengesetz. «Da hat sich nicht viel geändert, es gibt wieder die Vergemeinschaftung von Verantwortung.» Besser wäre eine ganz klare Zuordnung der Verantwortung statt es zusammen zu machen.

    https://www.nebelspalter.ch/themen/2023/12/10-punkte-aus-dem-entwurf-des-bundesrates

    Mit mehr Föderalismus könnte man das Risiko abzufedern, findet Schelker. «Wenn das ganze Land etwas macht, was nicht funktioniert, dann lernen wir nichts.» Die nötigen Experimente würden zwar nicht juristisch unterbunden, aber die Anreize dafür seien falsch gesetzt.

    Ähnliche Probleme sieht Schelker in der Finanzpolitik: «Der Finanzausgleich wollte ursprünglich die Auswüchse des Steuerwettbewerbs eingrenzen. Jetzt führt er dazu, dass es für die Kantone keine Anreize gibt, besser zu werden.» Wenn sich ein Kanton verbessere, werde er dafür bestraft.

    Die Schuldenbremse ist eines der wichtigsten Instrumente der Finanzpolitik auf Bundesebene. Jetzt ist sie unter Beschuss geraten – von links und rechts. «Früher konnte man sich in der Politik einfach auf Kosten der Steuerzahler einigen.» Das gehe nun nicht mehr. Sie zwinge die Politiker zu verhandeln und beim Geld ausgeben Prioritäten zu setzen. Am Schluss müsse die Politik die Entscheidung treffen, entweder Ausgaben zu streichen oder die Steuern zu erhöhen.

    Wenn man mehr Geld für die Armee ausgeben wolle, brauche es eine Überprüfung der Staatsausgaben. Schelker kritisiert auch die gebundenen Ausgaben, die man nur mit einer Gesetzesänderung kürzen könne. Da brauche es eine Debatte darüber. Diese müsse von Bundesrätin Karin Keller-Sutter ausgehen.

  • Nicolas Jutzet hat ein provokatives Buch über die Schweiz geschrieben. Der Romand leitet sorgfältig und mit Fakten belegt die Erfolgsrezepte der Schweiz her – und beschreibt, wie sie verloren gegangen sind. Gemeinden und Kantone haben kaum mehr politischen Handlungsspielraum, weil der Föderalismus der zentralen Steuerung der allermeisten Politikbereiche gewichen ist. Statt Milizparlamentarier haben wir zunehmend Profipolitiker, dies, obwohl genau das von der Bevölkerung an der Urne abgelehnt worden ist. «Berufspolitiker wollen auch, dass der Staat immer grösser wird», findet Jutzet. Er war für dei FDP Mitglied im Einwohnerrat in Rochefort (NE), hat wegen dieser Gefahr aber mit der aktiven Politik aufgehört.

    https://www.bk.admin.ch/ch/d/pore/va/19920927/det386.html


    Der Mythos der Schweiz als Gegenmodell sei ebenfalls verloren gegangen. «Wir sehen das zum Beispiel bei der Neutralität: Sowohl die USA als auch Russland finden, wir seien nicht mehr neutral, nur wir behaupten das noch», sagt Jutzet, «irgendetwas haben wir falsch gemacht.» Die Schweizer seien froh, dass sie so reich seien, aber sie seien nicht mehr bereit, dafür zu kämpfen. Das Land müsse wieder lernen, weshalb es so reich geworden sei. «Wenn die Schweiz jetzt gut unterwegs ist, dann ist es nicht nur Glück, sondern auch, weil wir vieles richtig gemacht haben.»

    Jutzet kritisiert die Internationalisierung der Schweizer Wirtschaft. Damit sei das Verständnis für ein Engagement von Leuten aus der Wirtschaft in der Politik verloren gegangen. Sie verstehen nicht, weshalb wir Lehrlinge ausbilden, weshalb jemand drei Wochen pro Jahr in die Armee geht und warum wir nicht alles von der EU übernehmen.» Damit geht auch das Vertrauen in die Wirtschaft verloren.

    Die nötigen Reformen kämen nicht aus der Politik, sondern aus dem Föderalismus Schweiz als Politiklabor. Jutzet schlägt deshalb die Gründung eines «Canton de la Liberté» vor, der wieder neu ausprobiert, wie eine Gesellschaft mit weniger Regulierung funktionieren könnte.

    Die FDP muss ihre Geschichte wieder entdecken
    Wären diesen echten Mythen der Schweiz nicht das ideale Programm der FDP? «Eigentlich schon», findet Jutzet, der selber Mitglied der FDP ist. «Die FDP muss mindestens ein Thema haben, weshalb man sie wählen soll.» Im Moment sehe er das nicht, weshalb er auf die FDP-Liste auch andere Namen setze. «Man ist bei ihr nicht sicher, was herauskommt.» Das Hauptproblem der FDP sei, dass die meisten Leute nicht aus Überzeugung zu ihr gehören. Die Partei müsse ihre Geschichte und ihre Schwerpunkte wieder entdecken.

    Nicolas Jutzet: La Suisse n’existe plus, Chronique d'un pays qui doute, Edition Slatkine, 2023

    https://www.slatkine.com/fr/editions-slatkine/75927-book-07211259-9782832112595.html

  • «Das Wahlresultat ist erfreulich», sagt Gerhard Pfister. Aber es sei nicht selbstverständlich, dass die Fusion mit der BDP funktioniert habe. Es sei schon erstaunlich, dass es nicht grössere Verschiebungen gegeben habe. «Den Rechtsrutsch gibt es nicht.»

    Pfister wehrt sich dagegen, dass die Mitte im Wahlkampf keine Inhalte geliefert habe. «Für den Zusammenhalt sorgen ist ein politischer Inhalt und nicht nur eine Formalie.» Beim wichtigsten Sorgenthema, den Krankenkassenprämien, habe seine Partei zudem einen konkreten Vorschlag gemacht.

    Den Wählern verpflichtet
    Wieso hat er die Partei in den letzten Jahren mindestens im Nationalrat auf einen Linkskurs gebracht? «Die linken Medien haben uns vorgeworfen wir seien zu rechts, die rechten haben uns vorgeworfen zu links zu sein», entgegnet Pfister. Damit könne er leben. «Wir sind nur unseren Wählern verpflichtet.»

    Die Asylpolitik dränge den Wählern unter den Nägeln. Die Mitte sei offen für Vorschläge, aber sie müssten auch funktionieren. Pfister fordert mehr Koordination in der Asylpolitik in Europa und gemeinsame Asylverfahren an den Aussengrenzen der EU. Die entscheidende Frage sei aber, wie die Rückführung von Menschen in Länder möglich sei, in die sie nicht zurückwollten.

    Gerichtshof der EU bleibt «toxisch»
    Bei der Personenfreizügigkeit fordert Pfister weiterhin Schutzklauseln. «Jede Weiterentwicklung im bilateralen Verhältnis darf das Lohnniveau und das Sozialsystem nicht gefährden, sonst wird es auch im nächsten Anlauf nichts werden. Der Gerichtshof der EU und seine Rolle beurteilt Pfister weiterhin als «toxisch». Die Mitte werde die institutionellen fragen genau anschauen. Am Schluss müsse man die wirtschaftlichen Vorteile gegen die politischen Konzessionen abwägen.

    Er habe aber den Eindruck, dass sich weder der Bundesrat, noch die Wortschaft und schon gar nicht die Sozialpartner einig seien, was denn genau die Interessen des Landes in dieser Frage seien.

    Der Irrtum des «Nebelspalters»
    Für eine bessere bürgerliche Zusammenarbeit müsse die SVP kompromissbereiter sein, die FDP mehr «Demut» zeigen und seine eigene Partei «programmatisch schärfer» auftreten. An einen «Bürgerblock» glaubt Pfister nicht. Es gebe nicht nur rechts und links. Das sei der Grundlagenirrtum des «Nebelspalters». In der Schweiz würden drei Pole entstehen, mit einem in der Mitte. Auch SP-Co-Präsident Cédric Wermuth mache den gleichen Fehler.

  • Die Zeit für links-grüne Ideen sei vorbei. Ob in der Energiepolitik, im Gesundheitswesen oder in der Altersvorsorge: Es brauche realistische Politik, «mehr bürgerliche Lösungen», die allen zugute komme. «Wir müssen den Standort stärken.» Imark spricht sich für eine sichere Stromversorgung, weniger Regulierung für das Gewerbe und eine produzierende Landwirtschaft aus. Im Gesundheitswesen trage die SP mit Gesundheitsminister Alain Berset die Verantwortung für die Kostensteigerungen. Er fordert Änderungen am System, damit nicht mit unnötigen oder schlechten Behandlungen Geld verdient wird. Imark ist für den Ausbau von Strasse und Bahn, um die Folgen der Zuwanderung aufzufangen. «Gerade im Kanton Solothurn spüren wir das extrem.» Wenn man das nicht wolle, müsse man so ehrlich sein und die Zuwanderung einschränken.

    Seine Kontrahentin um den zweiten Solothurner Ständeratssitz Franziska Roth (SP) vertrete wie der schon gewählte Pirmin Bischof (Mitte) die Stadt Solothurn, findet Imark. Er würde auch die Landbevölkerung und das Gewerbe des Nordwestschweizer Kantons in den Ständerat bringen.

  • Ist die SP die heimliche Siegerin der Wahlen? «Ich bin schon ein bisschen stolz, was wir erreicht haben», sagt Cédric Wermuth. Zufrieden ist er trotzdem nicht, vor allem weil die Linke insgesamt an Wähleranteilen verloren hat. Die kommende Legislatur werde schwierig. «Es wird viele Entscheide auf Messers Schneide geben.» 

    Und was bedeuten die Wahlen für die Konkurrenz in den anderen Parteien? «Innerhalb des Freisinns ist ein Richtungsschritt ausgebrochen», sagt Wermuth. Thierry Burkart wolle die Partei näher an die SVP rücken. Gleichzeitig hätten die Grünliberalen und auch die Mitte ein Angebot für liberal denkende Wähler. Es werde irgendwann eine Bereinigung geben, weil zu viele Leute um das Erbe des Liberalismus streiten und niemand könne es allein für sich beanspruchen.

    Warum ist die SP mit dem Thema «Kaufkraft» in die Wahlen gestiegen? «Wir haben am Anfang völlig ohne elektorale Überlegungen fünf Bereiche definiert, was die Aufgabe der Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert ist.» Daraus entstanden die drei Themen Kaufkraft, Gleichstellung und Klima. 

    Wohin entwickelt sich die Mitte? «Das weiss ich nicht», sagt Wermuth. Er sei immer skeptisch gewesen, was den Namenswechsel angehe. Einfach gegen die Polarisierung zu sein, sei aber noch keine politische Position. «Für den Moment hat das funktioniert.» Ob das langfristig aufgehe, ist für ihn jedoch offen. 

    Er habe noch nie eine Debatte über die Migrationspolitik verweigert, aber er verweigere sich der Grundannahme, die Ausländer seien an allem schuld. Schon bei der Sieben-Millionen-Schweiz habe man den Untergang des Landes vorausgesagt, jetzt wieder bei der Zehn-Millionen-Schweiz. «Sie ist noch nie untergegangen.» Die SP will jedoch das «inländische Arbeitskräftepotenzial» fördern und Anreize zur Ansiedlung von ausländischen Unternehmen streichen. «Die Schweiz war immer auf Einwanderung angewiesen.»