Spelade

  • Er war voll unbändiger Energie, voll Lust aufs Leben und voll Angst, er
    traute sich selbst nicht über den Weg und niemand anderem: Egon Schiele
    ist sicherlich eine der wichtigsten und schillerndsten Künstlerfiguren
    am Anfang unserer Moderne. Worin liegt seine Außergewöhnlichkeit, was
    machte er mit dem Bleistift und dem Pinsel sichtbar, was anderen
    verborgen blieb? Das diskutieren Florian Illies und Giovanni di Lorenzo
    in der neuesten Folge des Podcasts Augen zu.

    Es war ein kurzes Leben, aber eines im Geschwindigkeitsrausch. Von 1890
    bis 1918 lebte Egon Schiele nur – aber in den zwölf Lebensjahren, die
    ihm ab seinem Wechsel auf die Wiener Kunstakademie 1906 blieben, schuf
    er über 3.000 Werke auf Papier und über 300 Gemälde. Schiele war von
    einer ungeheuren Rastlosigkeit, er konnte nicht still sitzen, er zog
    Grimassen, wenn er sich selbst malte, verdrehte sich, als sei das Leben
    ein einziges Schleudertrauma. Erst als er 1911 Wally Neuzil im Atelier
    seines Förderers Gustav Klimt kennenlernt und sie zu ihm überwechselt,
    erst als Modell, dann als Geliebte, kommt eine gewisse Ruhe in seine
    furiose Kunst. Er lässt sich Zeit, ihren Körper nachzuzeichnen und er
    schaut auf sich selbst in seinen zahllosen Selbstbildnissen nicht immer
    nur mit den aufgerissenen Augen des Entsetzens.

    Wien um 1900 – das war ein singulärer Zeitpunkt, an dem die Welt neu
    durchschaut wurde: Sigmund Freud blickte in die Seelen, Ludwig
    Wittgenstein ins Gehirn, Karl Kraus bis zu den Sprachwurzeln, Arthur
    Schnitzler in die Herzkammern, Georg Trakl hörte das Gras wachsen und
    Arnold Schönberg die Tonlagen der Zukunft. Und zwischen dem malenden
    Berserker Oskar Kokoschka und dem elegischen Frauenausschmücker Gustav
    Klimt betrat plötzlich dieser Egon Schiele die Bühne und entdeckte in
    seiner Kunst Mann und Frau neu als Körper. Die Zeitgenossen waren
    verschreckt von seiner Drastik und Sexualisierung – doch Schiele
    antwortete mit seiner Privatmythologie: "Auch das erotische Kunstwerk
    hat Heiligkeit". Wie blicken wir heute auf diese Darstellungen der Frau?
    Silke Hohmann, Kunstkritikerin des Magazins Monopol, äußert sich im
    Podcast zu der Frage, wie Schieles Zeichnungen und Gemälde innerhalb der
    Geschlechterdiskurse unserer Gegenwart bestehen können.

    Mit Schiele wird die erotische Aktzeichnung zu einem autonomen Kunstwerk
    – und das Selbstbildnis zu einem Schlachtfeld, zu einem ewigen,
    zweifelnden "Ecce Homo". Aus den Ruinen des Subjekts baute er ein neues
    Weltbild und lehrte, dass Leben eben Lust und Leiden heißt – auch
    deshalb ist Egon Schieles Faszinationskraft bis heute ungebrochen. Es
    geht um tiefe Traurigkeit in seinem Werk, um Ernst und Würde – und er
    kann all das eben nicht nur in den Körpern finden, sondern auch in einem
    Buchenwald und in den Häuserlandschaften Böhmens, in die er sich
    zurückzog, um sich von sich selbst zu erholen. Er stirbt an der
    Spanischen Grippe, als der Erste Weltkrieg endete. Doch seinen Kampf für
    einen Platz im ewigen Kanon der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts hat
    er gewonnen.

    Lob, Kritik, Anmerkungen? Schreiben Sie uns gern an [email protected]

    [ANZEIGE] Mehr über die Angebote unserer Werbepartnerinnen und -partner
    finden Sie HIER

    [ANZEIGE] Falls Sie uns nicht nur hören, sondern auch lesen möchten,
    testen Sie jetzt 4 Wochen kostenlos Die ZEIT. Hier geht's zum Angebot.